SIT DOWN

Es gibt einen feinen Unterschied zwischen Schreien und allem davor. Sie schreit nie.

„Sit down!“ Der ausgestreckte Arm der jungen Frau macht immer wieder die beschwichtigende Geste mit der flachen Hand. „Sit down!“ Mit der anderen Hand hält sie sich am Rahmen des Steuerpults eines kleinen, schaukelnden Bootes fest.

Nehmen Sie Platz! Wir begrüßen Sie zu unserem zwanzigsten „Move It! Filmfestival für Menschenrechte“.

„Sit down!“ Zu Beginn des Filmes wirkt sie unsicher, fast panisch. Aber ihre Stimme ist fest. „Sit down!“ Diese Worte richten sich an über einhundert Personen in einem Schlauchboot, das im Begriff ist zu sinken. „Sit down!“ mag da fast höhnisch klingen, doch diese eindringliche und so oft wiederholte Aufforderung verhindert eine Panik und rettet Leben. Ihre Stimme bleibt fest und gewinnt mit den endlos langen Minuten, in denen wir dieser Szene in Echtzeit folgen, immer mehr an Sicherheit.

Wenn wir seit 20 Jahren „Sit down“ oder „Nehmen Sie Platz“ sagen, so tun wir das freilich in einem völlig anderen und vergleichsweise harmlosen Zusammenhang, im trockenen, warmen, sicheren Kino. Und dann heißt es „Move It!“, obwohl man im Kino in der Regel körperlich nicht sonderlich beweglich ist. Unser Motto ist dennoch zu Recht gewählt: die Filme bewegen uns im Innersten, lassen uns staunen, schaudern und nicht selten lassen Sie uns verunsichert und verstört zurück. Wir begegnen der Welt, mit all ihren Krisen, Kriegen, Zerstörung, Unterdrückung, Gewalt, aber auch in all ihrer unfassbaren Schönheit und unergründlichen Vielfalt.

Wenn es kein „Sit down!“ mehr braucht, gegen Ende des Filmes, treibt das Schlauchboot verlassen im Mittelmeer, alle Insassen sind an Bord einer privaten Seenotrettungsmission, sie haben überlebt und gehen dennoch einer unsicheren Zukunft entgegen.

In diesem Film („Einhundertvier“, läuft am 11.11.2024, 18 Uhr bei uns im Thalia Kino) wie in vielen anderen unseres Festivals gibt es kein Happy End. Und doch geht es neben all dem Leid in den Filmen um Menschlichkeit, Hoffnung, Solidarität, Würde und Selbstermächtigung. Wir sehen kleine und große Heldinnen und Helden, mutige Menschen, die nicht aufgeben und ihre und damit auch unsere Welt besser machen. Sie erzählen uns ihre Geschichten. Ihnen gilt unsere Hochachtung.

In zwanzig Jahren begegneten wir vielen faszinierenden, engagierten und mutigen Filmschaffenden, einige durften wir als Gäste in Dresden begrüßen. Sie stellten ihre Filme vor und sich anschließend unseren Fragen und nahmen uns alle mit auf ihre Reise. Ihnen gilt unser aufrichtiger Dank. Feiern wir also gemeinsam 20 Jahre „Move It! Filmfestival für Menschenrechte“!

SIT DOWN, WATCH OUT, MOVE IT!